ReclaimYourFaceEU-Initiative für Verbot von biometrischer Überwachung

Eine neue Bewegung will biometrische Überwachungstechniken verbieten lassen und setzt dabei auf große Unterstützung der Bevölkerung. Ab heute startet die Europäische Bürger:innen-Initiative von „ReclaimYourFace“.

Aktivist:innen der Digitalen Freiheit bei einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor CC-BY-ND 3.0 Digitale Freiheit

Die Bewegung „ReclaimYourFace“ hat eine EU-weite Bürger:innen-Initiative gestartet und fordert ein Verbot von biometrischer Massenüberwachung. Die Initiative soll das Europäische Parlament und die Kommission dazu bringen, das kontroverse Thema zumindest zu diskutieren. Denn anhand von biometrischen Daten wie Fingerabdrücken, der Iris-Form oder Gesichtszügen ist die eindeutige Identifzierung eines Menschen möglich.

Biometrische Überwachungstechniken gelten deshalb als Hochrisikotechnologien, die als Waffe eingesetzt werden könnten. Besonders die automatisierte Gesichtserkennung wird als grundrechtsfeindlich kritisiert, da sie die Versammlungsfreiheit auf öffentlichen Plätzen bedroht und zum Ausbau der allgemeinen Überwachung beiträgt.

ReclaimYourFace stützt sich auf ein breites Bündnis an über 30 Organisationen, von Amnesty International oder Privacy International bis hin zu deutschen NGOs wie Digitale Freiheit, die gegenüber netzpolitik.org auf die Dringlichkeit des Verbots hinweist: 

In den letzten zwei Jahrzehnten konnten wir eine enorme Erweiterung an Massenüberwachungstechniken in ganz Europa beobachten. Diese Entwicklung bereitet uns große Sorge. Es bedeutet, dass unsere Gesichter gescannt, unsere Bewegungen getrackt, unsere Mimik und Gestik analysiert wird und vieles mehr – wer wir sind und wo wir uns in der Öffentlichkeit aufhalten, all das wird aufgezeichnet und analysiert.

Gerechtfertigt wird der Ausbau von biometrischer Überwachung oft mit der angeblich höheren Sicherheit im öffentlichen Raum. Dieses Versprechen sei laut den Aktivist:innen von Digitale Freiheit haltlos. Für sie ist der Einsatz von automatischer Gesichtserkennung nicht vereinbar mit einer gesunden und funktionierenden Demokratie. Statistisch gesehen trägt Videoüberwachung nur einen geringen Anteil an aufgeklärten Straftaten bei. Und trotz sinkender Kriminalitätszahlen wird die Technologie von Sicherheitsbehörden stark favorisiert.

Europäische Bürger:innen-Initiativen als direktdemokratisches Instrument

Mit Kampagnen wie „Verbot der Gesichtserkennung in Europa!“ oder „Gesichtserkennung stoppen“ gab es bereits Versuche, den Ausbau der Technologie zu verhindern oder gänzlich zu stoppen. ReclaimYourFace, deren Namen so viel wie „Fordere dein Gesicht zurück“ bedeutet, geht mit dem Anstoß der Europäischen Bürger:inneninitiative noch einen Schritt weiter. Das direktdemokratische Verfahren soll die politische Teilnahme von EU-Bürger:innen ermöglichen.

Damit sich die EU-Kommission mit der Forderung von ReclaimYourFace befasst, müssen innerhalb von zwölf Monaten eine Millionen gültige Unterschriften aus einem Viertel aller EU-Mitgliedstaaten zusammengetragen werden. Die Unterschrift für die Kampagne erfolgt ausschließlich digital. Dadurch soll sich auch während der Pandemie jede:r sicher beteiligen können. Für Digitale Freiheit sei es eine Herausforderung, keine Werbung auf der Straße machen zu können, sagen die Aktivist:innen. Im direkten Dialog wäre es für sie einfacher gewesen, gezielte Nachfragen zur Kampagne zu beantworten und Aufklärungsarbeit zu leisten. Schließlich braucht die Aktion große Aufmerksamkeit, um bis zur EU-Kommission durchzudringen.

Fragwürdiger Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Mehr und mehr europäische Länder experimentieren mit Projekten für automatisierte Gesichtserkennung. In Österreich wurde das Verfahren bereits zur Ermittlung von Demonstrationsteilnehmer:innen genutzt. Und die Technik wird immer ausgefeilter: In der Corona-Pandemie weiterentwickelte Algorithmen kommen auf eine Fehlerquote von fünf Prozent bei der Identifikation eines Menschen, obwohl über zwei Drittel des Gesichts mit einer Maske bedeckt sind.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird innerhalb der EU viel diskutiert. In einem 2020 veröffentlichtem White Paper plädierte die EU-Kommission für eine Debatte über die Nutzung von Künstlicher Intelligenz bei Überwachungstechniken wie der automatisierten Gesichtserkennung. Nach den Aktivist:innen der digitalen Freiheit ist die Kampagne von ReclaimYourFace auch eine Antwort auf das Vorhaben der EU-Kommission, die bald Regeln für den Einsatz Künstlicher Intelligenz entwerfen will:

Ziel ist es, EU-Vorschriften für den Umgang und Einsatz von KI zu entwickeln und damit auch zu biometrischer Massenüberwachung. Anstatt eine öffentliche Debatte zu initiieren und die Menschen selbst über sensible Informationen entscheiden zu lassen, wird eine schwache bis fehlende Regulierung von Massenüberwachungstechniken erwartet. Wir Bürger:innen, die mit den Auswirkungen leben müssen, werden dabei nicht gehört. Wir müssen die Selbstbestimmung über unseren Körper, unser Gesicht und unsere Bewegungsdaten zurückerlangen und eine gesellschaftsschädigende Entwicklung aufhalten.

Die Bürger:innen-Initiative von ReclaimYourFace kann ab heute unterschrieben werden.

1 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.